Tilmann Knopf: Kap. 6: Ansätze zum Umgang mit dem Problemkreis / Kap. 7: Schlußwort

6. Ansätze zum Umgang mit dem Problemkreis

Aus der Analyse hat sich ergeben, daß Fantasy-Rollenspiele einerseits nicht unbeträchtliche Risiken beinhalten, andererseits aber bei verantwortungsvollem Umgang psychisch gesunder und nicht zu junger Jugendlicher mit den Spielen diese Risiken eher niedrig anzusetzen sind.

Andererseits bringen Fantasy-Rollenspiele aber sowohl Bedürfnisse als auch Ängste Jugendlicher vor allem auch religiöser Art zum Ausdruck. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl Jugendlicher spielt Fantasy-Rollenspiele, sehr viel größer ist noch der Anteil Jugendlicher, die andere Arten von Fantasy-Spielen spielen, für die manches, was sich aus der Analyse der Rollenspiele ergeben hat, in eingeschränkter Form ebenfalls gilt. Somit sind Kirche und Religionspädagogik dringend gefordert, sich mit Fantasy-Rollenspielen als wesentlichem Ausdruck von Jugendkultur und Jugendreligiosität auseinanderzusetzen:

„Auf jeden Fall aber ist es sinnvoll, sich vorher zu informieren, als dann rat- und hilflos vor einem Phänomen zu stehen, das urplötzlich aufgetaucht scheint, obwohl man es schon länger hätte sehen können87

Wie kann diese Information stattfinden, wie können eventuelle Gefahren bei Jugendlichen erkannt, wie kann ihnen begegnet werden? Wie können die Gesprächschancen, die sich aus Fantasy-Rollenspielen ergeben, genutzt werden?


6.1. Erwachsenenbildung und Pädagogenfortbildung

Nach meinem Erkenntnisstand aus Gesprächen mit zahlreichen Pädagogen und Religionslehrern zeichnet sich ab, daß der Informationsstand über Fantasy-Rollenspiele unter Pädagogen derzeit als extrem niedrig anzusetzen ist. Selbst “Profis” im Bereich der Spielpädagogik wie etwa Manfred Perko88 haben nicht mehr als eine vage Ahnung von diesen Spielen – ein angesichts der Verbreitung der Spiele unter Jugendlichen sehr unbefriedigendes Bild. Eine Aufarbeitung der Problematik etwa im Religionsunterricht ist natürlich völlig ausgeschlossen, solange die Religionslehrer diese nicht einmal wahrgenommen haben.

Fantasy-Rollenspiele sind – wie die Analyse gezeigt hat – ein ausgesprochen komplexes Phänomen, für Außenstehende ist es ausgesprochen schwierig, Einblick in die Rollenspielszene zu erhalten. Literatur zum Thema existiert sehr wenig, meist handelt es sich entweder um psychologische, soziologische, sprachwissenschaftliche etc. Untersuchungen zu oft kleinen Teilaspekten des Themas – noch dazu häufig in englischer Sprache. Meines Wissens gibt es bisher kein einziges umfassendes Buch zu diesem Thema.

Infolgedessen wäre der erste Schritt das Angebot von Fortbildungsveranstaltungen für Pädagogen zum Thema “Fantasy-Rollenspiele”. Pädagogen sollten auf einer solchen Veranstaltung selbst einmal an einem kurzen Spiel teilnehmen, um zu verstehen, wie diese Spiele ablaufen. Außerdem wäre ein Überblick über das auf dem Markt befindliche Angebot an Rollenspielen und deren jeweilige Charakteristika hilfreich. Unbedingt sollten die in 5. zusammengestellten Punkte bearbeitet werden. Besonders von Vorteil wäre die Anwesenheit engagierter Rollenspielerinnen und Rollenspieler bei einer solchen Fortbildungsveranstaltung. Sie könnten zum einen die Spielleitung bei den “Testspielrunden” übernehmen und zum anderen als kompetente Diskussions- und Gesprächspartner fungieren.

Vor allem die kirchlichen Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten sollten sich besonders über Fantasy-Rollenspiele informieren, da sie sicher wichtige Anlaufstellen für betroffene Eltern und auch Pädagogen darstellen. Zu einer differenzierten Beurteilung – etwa der Okkultismusträchtigkeit des jeweiligen Spiels – reichen gängige sektenkundliche Maßstäbe nicht aus. Spiele können, wie gezeigt, sehr okkultistisch wirken, müssen es aber dennoch nicht sein.

Schließlich sind auch Eltern eine wichtige Zielgruppe für Informationsveranstaltungen über Fantasy-Rollenspiele. Fantasy-Rollenspiele gehören – zusammen etwa mit Computerspielen – zu den Freizeitaktivitäten Jugendlicher, zu welchen Eltern – wie mir auch im Gespräch mit einer betroffenen Mutter bestätigt wurde – nur sehr schwer Zugang finden. Dabei wäre gerade ein höherer Informationsstand bei Eltern geeignet, einige der potentiellen Gefahren von Rollenspielen abzuwenden: “We talk to our children about the dangers involved with drugs, sex, and strangers so why not FRPGs (Fantasy Role Playing Games, d.Vf.)”.89

Veranstaltungen im Bereich der Erwachsenenbildung könnten möglicherweise auf ökumenischer Basis angeboten werden, um eine entsprechend große Zielgruppe zu erreichen.


6.2. Fantasy-Rollenspiele in Religionsunterricht und Jugendarbeit

Wie schon mehrfach angedeutet halte ich den Religionsunterricht für einen geeigneten Rahmen, um mit Jugendlichen über Fantasy-Rollenspiele ins Gespräch zu kommen. Dies setzt natürlich entsprechende Vorkenntnisse des Religionslehrers voraus. Vor allem sollten Religionslehrer darüber informiert sein, welche ihrer Schüler Fantasy-Rollenspiele spielen und welche Spiele sie spielen sowie ihr Interesse und Gesprächsbereitschaft für den Fall auftauchender Probleme signalisieren.

In Klassen, in denen Schüler bereits Fantasy-Rollenspiele spielen, ist eine Thematisierung der Fantasy-Rollenspiele sinnvoll. Zwei Gesichtspunkte bestimmen m.E. die Behandlung von Fantasy-Rollenspielen im Religionsunterricht:

Fantasy-Rollenspieler reflektieren häufig kaum über ihr Spiel und haben praktisch keine Gelegenheit, außerhalb ihrer Spielgruppe – etwa mit Eltern oder anderen Erwachsenen – über das Spiel zu sprechen. Das fehlende Gespräch über das Spiel ist aber ein wesentlicher Problempunkt der Spiele.90 Vor allem über die unter 5. genannten problematischen Aspekte der Spiele könnte der Religionsunterricht ein Gespräch anbieten und damit wesentlich zu ihrer Entschärfung beitragen. Meiner Erfahrung nach sind Rollenspieler einerseits von ihrem Hobby begeistert, andererseits aber häufig etwas verunsichert – etwa was den Gewaltaspekt oder den okkultistischen Aspekt der Spiele angeht – und nehmen ein Gesprächsangebot gerne an. Besonders günstig wirkt sich aus, wenn der Lehrer über einen gewissen Einblick in das Rollenspiel verfügt.

Da Rollenspieler meist gerne bereit sind, ihr Hobby zu thematisieren, eignen sich Fantasy-Rollenspiele auch ausgezeichnet als jugendweltlicher Anknüpfungspunkt für eine ganze Reihe von RU-relevanten Themen, die sich z.T. an den Fantasy-Rollenspielen selbst, zum Teil von ihnen ausgehend bzw. sie streifend behandeln lassen. Ich nenne hier einige der wichtigsten:

Die Frage nach Fantasy-Rollenspielen in der Jugendarbeit ist um einiges problematischer. M.E. eignen sich die bisher auf dem Markt befindlichen Rollenspiele nur sehr bedingt für einen Einsatz in der Jugendarbeit. Zwar könnten Fantasy-Rollenspiele – in einer kontrollierten und fachkundig geleiteten Form – Jugendliche etwa zum Nachdenken über die eigene Lebenssituation anregen – ähnlich aber intensiver als die Beschäftigung mit Büchern oder Filmen. Auch die zu erwartenden sozialen Auswirkungen des gemeinsamen Rollenspiels – Bildung eines Freundeskreises und starker persönlicher Bindungen über den Rahmen des Spiels hinaus sind durchaus als positiv einzuschätzen. Der Spielleiter könnte über das Rollenspiel Zugang zu Problemen Jugendlicher erhalten, die sie im Rahmen des Spiels eher zu thematisieren bereit sind.91 Besonders reiz- und sinnvoll, aber auch schwierig könnte ein solcher Einsatz von Rollenspielen in der Jugendsozialarbeit sein. Dennoch wird ein Projekt “Rollenspiel” derzeit angesichts der mit den gängigen Rollenspielkonzepten verbundenen Problemen sowohl am Fehlen eines geeigneten Spielkonzepts als auch am Mangel an geeigneten Spielleitern scheitern. Wenn allerdings Jugendliche in einer Gemeinde beginnen sollten, von sich aus Fantasy-Rollenspiele zu spielen, ist eine vorsichtige Begleitung und Beratung im Sinne des bisher Gesagten der vermutlich sinnvollste Weg.



7. Schlußwort

Die Welle der Fantasy-Rollenspiele hat aller Voraussicht nach noch keineswegs ihren Höhepunkt erreicht. Es ist hoch an der Zeit, daß Verantwortliche in Kirche und Schule diese neue Herausforderung wahrnehmen. Wie diese Untersuchung gezeigt hat, sind Fantasy-Spiele allgemein und auch Fantasy-Rollenspiele im Besonderen unter Jugendlichen weit verbreitet. Fantasy-Rollenspiele bringen wichtige Themen Jugendlicher und junger Erwachsener zur Sprache. Sie werfen eine ganze Reihe von Problemen und Fragen auf, eröffnen aber auch neue Gesprächschancen mit Jugendlichen – gerade auch zu religiösen Themen. Das Informationsdefizit von Pädagogen und Eltern, die Spiele betreffend, ist extrem hoch und stellt eine Herausforderung vor allem auch an die kirchliche Pädagogenfortbildung und Erwachsenenbildung dar. In dieser Arbeit wurden Ansätze und Themen hierfür angeboten. Es wäre zu wünschen, daß die Kirche in diesem Bereich nicht einmal mehr die Chance verschläft, mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen über das ins Gespräch zu kommen, was diese wirklich bewegt.


Anmerkungen:

87 Haack, in: Pulling, l.c., S. 12
88 in einem Gespräch im Predigerseminar Purkersdorf am 04.12.1995
89 Thompson, l.c., S. 55
90 so Ritter, l.c., S. 49
91 so auch Ritter, l.c., S. 32 und 50f.



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