Tilmann Knopf: Kap. 4: Zur Faszination von Fantasy-Rollenspielen

4. Zur Faszination von Fantasy-Rollenspielen

Ein Vorwurf, der häufig gegen Fantasy-Rollenspiele erhoben wird, ist, daß Jugendliche, die sie spielen, sehr viel Zeit mit diesen Spielen verbringen. Dies läßt sich aus den von mir in Salzburg erhobenen Zahlen nur bedingt herauslesen, jedoch gaben immerhin ca. 18% der Rollenspieler an, 1x pro Woche oder öfter zu spielen. Ebensoviele gaben als durchschnittliche Spieldauer zwischen 3 und 9 Stunden an. Die bereits einmal zitierte “Zauberzeit”-Leserbefragung ergab – unter den selbstverständlich stark am Fantasy-Rollenspiel interessierten Lesern dieser Zeitschrift – folgende Spielhäufigkeit (Spiele pro Monat):

• 1-2mal: 139 • 3-4mal: 186 • mehr als 4mal: 234 • seltener: 18

Nach der Spieldauer wurde leider nicht gefragt. Aus meiner eigenen langjährigen Erfahrung weiß ich, daß echtes Rollenspiel unter einer Spieldauer von mindestens 4-5 Stunden kaum möglich ist. Flach/Rummel geben die durchschnittliche Spielzeit bei einer von ihnen durchgeführten Befragung mit 5 Std. und 40 min. an.28

Was fasziniert (nicht nur) Jugendliche so an diesen Spielen, daß sie bereit sind, derart viel Zeit in sie zu investieren und daß sie diese Spiele darüber hinaus – wie auch die nebenstehenden Zahlen aus meiner Umfrage belegen29 – über Jahre hinweg regelmäßig spielen?

Kathe glaubt, den Spaß an Fantasy-Rollenspielen mit folgenden Punkten erklären zu können:

  1. spontanes Engagement der Teilnehmer, Einlassen auf die Spielwelt
  2. Selbstdarstellung und Befriedigung sozialer Bedürfnisse
  3. Kreativitätsentfaltung, Lust am Fabulieren, am Ungewöhnlichen
  4. ungewisser Verlauf, der Spannung erzeugt
  5. Spannung aus dem Risiko, das die Figuren eingehen, gepaart mit der Entfaltung des Spiels in entspannten Situationen30

Seine Überlegungen faßt er dahingehend zusammen, “daß die Hauptursache für Freude oder Unlust am FRSp die Teilnehmerrunde ist. Es ist ein kommunikatives, geselliges Spiel, bei dem viel geredet und gelacht wird”.31

Diese von Kathe angeführten Punkte sind m.E. zutreffend und werden auch durch die Ergebnisse meiner Umfrage (bei aller gebotenen Zurückhaltung in der Bewertung der Ergebnisse bei der schmalen Basis) weitgehend bestätigt. Vor allem die Darstellung der eigenen Figur hat hier einen hohen Stellenwert. Demgegenüber hat der kommunikative Aspekt bei der von mir untersuchten Gruppe anscheinend nicht die überragende Bedeutung, die ihm Kathe zuschreibt. Möglicherweise ist dies auf die Altersstruktur der von mir befragten Gruppe zurückzuführen. Es ist zu vermuten, daß bei jüngeren Spielern das eigentliche Rollenspiel noch hinter etwa das Lösen von Rätseln oder das Besiegen von Gegnern zurücktritt. Der Gewaltaspekt der Spiele gehört zwar nicht zu den herausragenden Spielmotivationen, wird aber von einem Teil der Jugendlichen offensichtlich dennoch begrüßt.

Ein von Kathe nicht genannter, aber m.E. wichtiger Aspekt ist die Überschaubarkeit von Rollenspielwelten. Spielercharaktere können in der jeweiligen Welt Entscheidendes bewirken – für Spieler, die nur zu oft das Gefühl haben, in der wirklichen Welt nichts bewirken zu können, ein nicht zu unterschätzendes Erfolgserlebnis.

Seit dem Zeitpunkt des Erscheinens von Kathes Untersuchung Mitte der achtziger Jahre hat sich an den auf dem Markt befindlichen Rollenspielen einiges geändert – ich möchte später noch ausführlicher auf einen Punkt eingehen, der mir für die Motivation zum Rollenspiel ebenfalls wichtig zu sein scheint. Er betrifft die religiöse Dimension der Spiele:

Die neuere Entwicklung auf dem Rollenspielmarkt bringt eine wichtige neue Komponente stärker ins Spiel: Der schon seit Tolkien vorhandene mythologische und religiöse Hintergrund dieser Spiele wird zunehmend wichtiger – dies zeigt auch das Ergebnis meiner Umfrage. Offensichtlich geht von dieser religiösen Dimension der Spiele eine solche Faszination aus, daß in neuester Zeit immer stärker auch okkultistisch orientierte Spiele auf den Markt kommen. Die Frage, was diese Faszination ausmacht, wird sowohl bei der Untersuchung des Okkultismusvorwurfs an die Spiele als auch bei der Frage des pädagogischen Umgangs mit diesen Spielen zu berücksichtigen sein. Näheres hierzu bei der Untersuchung der einzelnen religiösen und mythologischen Elemente der Spiele.


Anmerkungen:

28 Flach, Roger; Rummel, Andreas: “Das Rollenspiel für die Freizeit neu entdeckt – Eine Untersuchung am Beispiel des Fantasie-Spiels ‘Das Schwarze Auge’. Über seine Bedeutung aus sozialer und freizeitpädagogischer Sicht”, Diplomarbeit Fachbereich Sozialpädagogik und Sozialarbeit an der Evang. FH Darmstadt, 1992/93, mir als Ms vorliegend, S. 95
29 wesentlich deutlicher ist dies noch bei den Befragten aus der Zauberzeit-Umfrage 1991; dort ergab sich folgende Verteilung:
unter 1 Jahr: 4 • 1 Jahr: 17 • 2 Jahre: 39 • 3 Jahre: 48 • 4 Jahre: 69 • 5 Jahre: 103 • 6 Jahre: 105 • 7 Jahre: 102 • 8 Jahre: 32 • 9 Jahre: 21 • 10 Jahre: 8 • 11 Jahre: 9 • 12 Jahre: 4 • 13 Jahre: 1
(der Bruch zwischen 7 und 8 Jahren ergibt sich aus dem Erscheinungsdatum der ersten nennenswerten deutschsprachigen Rollenspiele 1984)
30 Kathe, Peter: “Struktur und Funktion von Fantasy-Rollenspielen”, CFS e.V., Friedberg 1986, S. 64-65
31 ebd, S. 65



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